Großer Markt Saarlouis

  • Standort

    Saarlouis

  • Partner

    Architekturbüro Wandel, Lorch, Götze, Wach

  • Partner

    Tobias Link Lichtplanung

  • Jahr

    2022

  • Verfahren

    Ideenwettbewerb

Großer Markt Saarlouis

2022, 1. Preis

  • Projektdaten
    • Standort

      Saarlouis

    • Partner

      Architekturbüro Wandel, Lorch, Götze, Wach

    • Partner

      Tobias Link Lichtplanung

    • Jahr

      2022

    • Verfahren

      Ideenwettbewerb

Horror: aus Erfahrung geborener Schrecken, Schauder. Zustand, der durch etwas Erschreckendes oder Erschauderndes hervorgerufen wird.


Dieses Gefühl überkommt die Mehrzahl der genervten Parkplatz- Suchenden auf dem Großen Markt in Saarlouis. Die Gewohnheit, dass auf diesem zentralen Platz im historischen Zentrum - der sog. “heimlichen Hauptstadt des Saarlandes“ - aus-schließlich der PKW-Lawine als Abstellfläche zu dienen hat, bedarf einer Korrektur. Im Sinn von Public Interest Design soll im Kontext von partizipatorischen Architekturprojekten, hier die soziale und ökologische Nachhaltigkeit im Mittelpunkt stehen. Im Sinn von Public Interest Design soll im Kontext von partizipatorischen Architekturprojekten, hier die soziale und ökologische Nach-haltigkeit im Mittelpunkt stehen.


„Das Gute - dieser Satz steht fest - ist stets das Böse, was man lässt.“
Wilhelm Busch (Werk: Die fromme Helene, Epilog).


Wenn wir die Angst vor der Leere („horror vacui“) überwinden wollen, stellen wir fest, dass räumliche Qualität sich umso prägnan-ter zeigt, je mehr wir darauf verzichten, Räume zu möblieren, zuzustellen und zu überfrachten. Der Große Markt wird in seinem Endausbau, den wir hier vorschlagen, autofrei sein und seiner repräsentativen Funktion als Allein-stellungsmerkmal „Größter Platz im Südwesten“ – „einer der größten Plätze Europas“ gerecht werden. Im Kontrast zur leeren Mitte pulsieren die Randzonen im Takt des städtischen Lebens und stärken den urbanen Charakter im Herzen der Stadt.


Im Rhythmus des jährlichen Veranstaltungskalenders wird dieses Bild auf den Kopf gestellt: Im Rahmen kultureller und kommerzieller Events saugt die Leere sich voll pulsierenden Lebens. Die kontrastreiche Wahrnehmung zwischen absoluter Leere, Symmetrie und Stille gegenüber brummender Geschäftigkeit, Fülle und Lebensfreude macht den Großen Markt nicht nur zum größten, sondern auch zu einem der spannendsten Plätze in der Region. Als Parkplatz könnte er das niemals leisten.

Klimaresilienz
Kein Zweifeln mehr! Die gravierenden humanitären und wirtschaftlichen Folgen des veränderten Klimas sind in Mitteleuropa ange-kommen. Verantwortliche Politik zur Stadtentwicklung muss unmittelbar reagieren und Maßnahmen ergreifen, mit denen die nega-tiven klimatischen Veränderungen abgemildert werden können.
Maßnahmen unterschiedlicher Wirkungstiefe müssen sich dezentral über das gesamte Stadtgebiet verteilen. Im Rahmen des Wett-bewerbs beschränken wir uns auf solche, die am Großen Markt angezeigt sind, zumal hier größte Hitzewerte gemessen werden, die der gewünschten Aufenthaltsqualität entgegenstehen. Insofern genießen Maßnahmen zur Klimaresilienz im Rahmen des Wettbe-werbs hohe Priorität. Sie sind nicht zuletzt Voraussetzung für die Schaffung angenehmer Aufenthaltsbereiche und das Funktionieren des Platzes als die kulturelle Mitte, als das Herz der Stadt.


Standortbedingungen verbessern
Im ersten Schritt der Umsetzung, das kann sehr kurzfristig erfolgen, werden die Reihen der äußersten Stellplätze allseitig aufgelassen, die Bodenfläche wird entsiegelt und ein Kieskörper mit großem Hohlraumvolumen wird als passiver Regenwasserspeicher eingebaut. In kleinteiliger Filigranarbeit werden nun die Standorte der vorhandenen alten Baumindividuen durch Austausch der verbackenen Deckschicht und durch Einbau linearer Rigolenstränge mit Verbindung zu dem passiven Regenwasserspeicher nachgebessert. Zwei neue Baumreihen werden mit Baumquartieren nach aktuellen Standards hinzugepflanzt. In dieser ersten Phase, die sich als kleinflä-chige Wanderbaustelle rings um den Marktplatz organisiert, bleibt der Mittenbereich des Großen Marktes Großparkplatz mit ca. 176 Stellplätzen.

Großflächige Entsiegelung und Regenwassermanagement – Phase II und III des Umbaus
Der Große Markt in Saarlouis soll Vorbild für die Stadtplätze der Zukunft sein! Größtmögliche Entsiegelung, intelligentes Regenwas-sermanagement und Vergrößerung der Vegetationsmasse. In Phase 2 und 3 werden die inneren Platzflächen je hälftig vom ruhenden Verkehr befreit, die Flächen werden entsiegelt und im Endausbau mit einer robusten ungebundenen Decke versehen, ähnlich der am Saarbrücker Schlossplatz. Somit wird das Niederschlagswasser großflächig versickert, dem Grundwasser oder den umlaufenden Was-serspeichern zugeführt. Aktive Wasserspeicher, dezentral an den vier Marktseiten verteilt, können in den trocken-heißen Sommer-monaten zusätzlich die umgebenden Baumhaine mit Wasser versorgen. Anfallendes Niederschlagswasser wird oberflächlich der Topografie folgend in lineare Substratfilterrinnen abgeleitet, soweit nicht auch die wasserspeichernde bzw. versickernde Wirkung der ungebundenen Beläge ihren Beitrag dahingehend leistet. Ein dezentrales System aus Rückhaltespeichern dient mit einem im-mensen Volumen als Pufferzone. Eine allseitig um die innere Platzfläche umlaufende Stufe von 30 cm Höhe erlaubt die Steuerung der Regenwasserspeicherung. Mit einer Sitzauflage aufgedoppelt ergibt sich „die Lange Bank“, die zur Platzmitte hin orientiert ist. Punktuell vorgelegte Blockstufen erlauben immer wieder das leichte Begehen. Stufenfreie Zugänge an den vier Platzseiten (Kirche, Kommandantur, Deutsche und Französische Straße) gewährleisten die Barrierefreiheit. Nur bei extremen Starkregenereignissen soll überschüssiges Regenwasser dem öffentlichen Kanalsystem zugeführt werden. In den Zisternen mit einem Fassungsvermögen von jeweils ca. 50m³ werden Bewässerungspumpen und Druckleitungen angeschlossen, die mit den Pflanzflächen und Baumstandorten verbunden sind. Über Feuchtefühler und WLAN-gesteuerte Einrichtungen lässt sich die Bewässerung und auch die Beleuchtung be-quem aus dem Rathaus bzw. dem NBS prüfen, steuern und warten. Das „Kaskaden-Prinzip“ zur Regenwassernutzung entlastet das städtische Infrastruktursystem und unterstützt das kommunale Pflege- und Wartungsmanagement der öffentlichen Räume. Klassi-sche Überflurhydranten in den inneren Marktecken können an extrem heißen Sonnentagen die befestigte Randzone der inneren Marktfläche stunden- oder halbtageweise benetzen und so zusätzlich zu den frischwassergespeisten Trinkbrunnen für Abkühlung sorgen. Neue pavillonartige Einbauten werden mit Gründächern ausgestattet, somit wirken sie als Klimapuffer, reduzieren den Hit-zeeintrag und halten Niederschlagswasser zurück.

Nutzungsszenarien - Besinnung auf Qualität statt Masse
Neben den dauerhaften Installationen für vielfältige Nutzungen im umgebenden Platanenhain bleibt die Platzmitte trotz verringerter Fläche multifunktional bespielbar. Ein Netz der technischen Infrastruktur mit strategisch verteilten Anschlussstellen, die ausschließ-lich unterflur angeboten werden, unterstützt jedwede Nutzung, sei es im wöchentlichen oder im Rhythmus des Jahreskalenders. Wochenmarkt findet ausschließlich in der inneren Platzfläche statt. Die Aufstellung der Marktstände orientiert sich an den gepflas-terten Wegebändern, die hier als Schlechtwetterwege zu jeder Jahreszeit begehbar sind. Korridore erlauben das ungleichzeitige Ran-gieren beim Auf- und Abbau der Marktstände. Die Fahrzeuge der Marktbeschicker parken zwischenzeitlich in einem der freien Markt-viertel. So bleiben die umlaufenden Zonen zwischen Fassade und Platanenhain frei für den Shuttle sowie die Rest- und Rettungsver-kehre. Für Kram- und Flohmärkte bieten sich im Erschließungsraster unterschiedliche Aufstellszenarien an.

Die raumgreifenden Ereignisse wie Ostermarkt, Ludwigskirmes, Bier- und Messezelt sowie die Neue Emmes können sich über die gesamte Platzfläche ausbreiten. Ergänzend können ggfs. die Straßenräume der Deutschen und Französischen Straßen bespielt wer-den. Für alle Großereignisse soll zukünftig gelten: „Qualität statt Masse“, insofern ist auch die leicht verringerte Fläche des Marktes, die frei bespielbar bleibt, kein echter Nachteil.
Nehmen wir rückblickend die Kriterien, welche uns die Stadtpolitik ins Aufgabenheft geschrieben hat, nochmal hervor, so stellen wir fest, dass sie sich keinesfalls widersprechen, nur phasenweise hat der eine oder der andere Schwerpunkt Priorität.


Was andere Städte in Facetten leisten, kann Saarlouis auf dem Neuen Großen Markt, der doch der Alte beleibt, viel besser!